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Artikel im Magazin

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Augusthochwasser 2005

Es ist das größte Hochwasser seit den fürchterlichen Ereignissen von 1910. Auch damals sind fast identisch die gleichen Gebiete des Landes betroffen. Besonders das Montafon, der hintere Bregenzerwald, das Klostertal und das Gebiet des Arlbergs, werden am schwersten von diesem Jahrhundertereignis heimgesucht. Ursprünglich ist geplant, ein Hochwasser symbolisch für die Ereignisse von 1910 zu verwenden.  Durch das Ausmaß wird das Augusthochwassers 2005  selbst zum Thema einer Hochwasserkatastrophe.

Punkt 6 Uhr springt er aus dem Bett, als wäre er von der Tarantel gestochen. „Ich muss in den Wald, da passiert was!“ Bereits am Vorabend hatte Hanno Thurnher die tobende Dornbirner Ache gesehen, hoch wie noch nie. Und tatsächlich war der Fluss selten so tiefschwarz und bedrohlich in Erscheinung getreten wie am Abend des 22. August 2005. Die aktuellen Meldungen im Radio tun das Übrige. Keine Viertelstunde später sitzt er im gemieteten Klein-LKW und fährt über das Bödele nach Schwarzenberg - und nach ersten Aufnahmen - weiter nach Egg und Müselbach. Überall sieht man bereits die Verwüstungen die das Wasser angerichtet hat: Ein riesiger See da, eine Unterspülung und ein Abbruch dort. Aber die Hauptverkehrsverbindungen sind noch offen. Thurnher versucht so viele Aufnahmen wie möglich in kurzer Zeit zu machen. „Mit der großen Karre ist das echt umständlich, diese dauernde, umständliche Umdreherei! Ich fahre mich sicher noch irgendwo fest - wie früher immer - und dann ist der historische Tag ohne mich gelaufen!“ denkt er laut, gestützt auf die vielen negativen Erfahrungen vergangener Jahre.

Kurz vor 8 Uhr ruft er Mike Bertschler an: „Und ein kleiner Einsatz im Überschwemmungsgebiet gefällig“, fragt er euphemistisch. Zuerst wird verhandelt, nachdem das Angebot verlockend klingt, verschiebt Bertschler eine weniger dringlich Sache und hält sich bereit. Als Thurnher auf dem Hinweg wieder über das Bödele fährt, sind schon einige Straßenstücke unterspült oder ganz weggebrochen. „Hoffentlich hält das noch eine halbe Stunde“. Als die beiden nach Schwarzenberg unterwegs sind, ist die Straße bereits einseitig gesperrt. Sie passieren die Stelle, fahren dann direkt zum Schwarzenberger Fußballplatz hinab, immer mit Bedacht es wieder auf die Hauptverbindung hinauf zu schaffen. Am Bolzplatz haben sich einige Schaulustige versammelt. Man kann zusehen wie sich die Bregenzerache nach und nach in das Grünland frisst. Immer mehr Weideland bricht ab in den Schlund des tobenden Flusses. Zwei Bauern schauen besorgt auf das schwindende Feld. In den Fluten sieht man Baumaterial, ganze Bäume, verarbeitetes Holz, Styroporplatten, Kanister und vieles mehr, immer wieder auf- und abtauchen. Dann geht es Richtung hinterer Bregenzerwald. Bei der alten Sporenegger Brücke noch ein Bild. Hier tobt das Wasser bis zum Brückenbogen der alten Straßenbrücke. Die neue Brücke ist aber nicht gefährdet und die nahe Eisenbahnbrücke - erst kürzlich saniert – ebenfalls außerhalb der Gefahrenzone. Dann weiter nach Bezau. Dort ist gleich mal Schluss mit weiterkommen. Es wird schnell sichtbar, was das Wasser hier angerichtet hat. Mehrere Bäche haben den Ort in ein Notstandsgebiet verwandelt.

 

 

 

Thurnher und Bertschler fahren weiter zur Klause, einer berüchtigten Engstelle zwischen Bezau und Mellau. Hier hat das tobende Wasser einen Teil der Straße in der Klausgalerie mitgerissen. Die Straßenwacht sorgt für einen Notbetrieb. Ein unbändiger Wasserfall stürzt über das Lawinendach. Der Lärm ist unerträglich und Thurnher macht in diesem Tumult noch seelenruhig einen Objektwechsel. Man versteht sein eigenes Wort nicht, und jenes der Straßenwacht schon gar nicht. Ein Posten fuchtelt unentwegt, Thurnher und Bertschler stellen sich blöd. Noch schnell ein paar Bilder und ein Blick in den tobenden Fluss – „Moment, da stimmt doch was nicht, da fehlt doch was“, meint Bertscher?! Und tatsächlich: „Der große Stein in der Flussmitte ist weg“, ergänzt Thurnher. Ewig gestanden, wie ein Wahrzeichen stand der Steinpfeiler einer längst abgetragenen Brücke, jetzt über Nacht fortgerissen von der Kraft des Wassers, in der Dunkelheit der Nacht. „Auf nach Mellau“, die beiden stehen unter Zeitdruck, denn es ist nicht abzusehen, wann die Verkehrswege in den hinteren Bregenzerwald komplett gesperrt werden. Man gibt sich als Dokumentarfilmer aus und wird durchgelassen, denn noch gibt es keine zentrale Order und jeder Posten entscheidet irgendwie eigenmächtig. Manche kennen das Team auch von anderen Drehs. Es geht zum „Brogerhaus“, oder besser gesagt, was noch davon da ist. Über Nacht hat das Hochwasser das vordere Haus - das Firmengebäude der Familie Broger - in Sekunden in den Fluten der Bregenzerwache verschwinden lassen. Die Straße ist teilweise völlig abgesunken oder weggerissen. Teile der Fahrbahn hängen in die Ache. Eine Annäherung ist äußerst riskant, zu riskant, denn man kann die Unterspülungen nur erahnen. Beim Privatplatz des verschwundenen Hauses laufen Sicherungsarbeiten. Große Steine werden von LKW´s, im 30 Sekunden Takt ins Wasser gekippt, um den Untergrund zu stabilisieren. unter Hochdruck! Das Team verlässt kurze Zeit den Ort und fährt Richtung Mellental. Auch hier überall Verwüstung, verursacht durch den Mellenbach, eines berüchtigten Seitenflusses der Bregenzerache. Ein LKW liegt völlig zertrümmert am anderen Ufer. Er wurde kilometerweit aus dem Mellental hausgeschwemmt. Nach wenigen Metern ist der Weg ins Tal gesperrt. Das Gebiet ist seit ein paar Tagen von der Außenwelt abgeschnitten. Man kann nur erahnen, wie es dahinter aussieht und will gar nicht daran denken. Es gibt auch keine Verbindung zu den Menschen auf den Alpen im Tal. Ein paar Aufnahmen und dann noch ein makabres Späßchen von Bertschler: Er hüpft mit dem schweren Kamerastativ wie eine Gemse auf einem großen, völlig durchnässten Stein herum, während unmittelbar hinter ihm die grau-braunen Wassermassen toben. Ein falscher Tritt, ein Ausrutscher auf dem glitschigen Untergrund und der Übermütige wird von den Wassermassen weggerissen, verschluckt und zermalmt. Da gibt es kein Entrinnen, selbst für den „Hans im Glück“ nicht!!  

Über einen Feldweg an der Nordseite der Kanisfluh geht es Richtung Schnepfau. Überall hört man die stürzenden Wasser der umliegenden Bäche. Unheimlich was hier abgeht, sind sich beide einig. Bei der Brücke über die Bregenzerache wird es plötzlich leiser – auch der Regen lässt nach. Die beiden verlassen das Fahrzeug und stellen sich mit der Kamera und Stativ auf die Brücke: Das ganze Bild wirkt plötzlich wie ein Szenario aus prähistorischer Zeit, lange bevor der Mensch in den Talboden des hinteren Bregenzerwaldes vorgedrungen ist und noch alles der Natur überlassen war. Links hinten die Felsen der Mittagsfluh, rechts der Gebirgsstock der Kansifluh eingehüllt in kleine Nebelschwaden, die gespenstisch durch das Tal ziehen. Und am Talboden hat die Bregenzerache alles unter Wasser gesetzt, auch den angrenzenden Wald. Keine Menschenseele hat sich hierher verirrt. Es wirkt unglaublich archaisch. Durch die Flussbreite schlagen die Wassermassen nur noch dumpf aneinander, ab und zu hört man einen Baumstamm in den angrenzenden Wald krachen. Die beiden schauen völlig entrückt in diese irreale Welt, bis sie sich gegenseitig zum Gehen auffordern.

In Schnepfau stehen riesige Felder unter Wasser und eine große „Holzscheitwand“ ist umgerissen worden. Thurnher prophetisch: „Die steht wahrscheinlich morgen wieder, als wäre nichts gewesen“, mit einem Grins auf seinem Gesicht. Dann weiter nach Au. Am Tunnelportal zeigt die Ampel auf Rot. Alles ist gesperrt. Kurze Rücksprache mit einem Posten. Er gibt freie Fahrt, aber auf eigene Gefahr! Die Spannung steigt. Langsam fahren sie durch den Tunnel, es knistert! Was wird sie erwarten. Nochmals wird die Fahrt verlangsamt, um die Spannung weiter zu erhöhen. Dann kommen sie ans Tunnelende. Rechts tobt die Bregenzerwache in nie dagewesener Wucht. Das Wasser ist hier tief rostbraun. Auf der engen Straße geht es weiter. Plötzlich ist die Straße links unter Wasser, aber die Gefahr ist überschaubar. Es geht weiter, aber langsam. Der Blick auf den Ort ist von Tannen verdeckt. Aber man sieht die Tankstelle. Ein breiter Bach kommt der Straße entlang. Ein Durchfahren scheint unmöglich. Bertschler parkt das Auto und beide steigen aus – noch ein paar Bilder entstehen, bevor sie den Weg antreten. Die Tankstelle wird von den Fluten durchflossen. Im angrenzenden Haus scheinen die Bewohner auf Hilfe zu warten. Das Haus ist völlig vom Wasser eingeschlossen und alle Personen wirken absolut angespannt.

Keine 20 Meter weiter watet ein Mann mit seinen hohen Gummistiefeln ganz langsam durch das Wasser. Es steht Knopf auf Spitz, ob das Wasser in den Schuh dringt. Am Ende kommt er mit trockenen Socken auf die andere Straßenseite, dort schlägt er die Hacken zusammen und geht mit schneidigem Schritt weiter zur Tankstelle. „Moment, den kennt man – das ist doch der Zuständige des Landes", meint Thurnher. Beide entscheiden sich nach den Aufnahmen ebenfalls Richtung Tankstelle zu laufen und das Fahrzeug danach zu holen.  denn sie vermuten, dass hier noch etwas passiert. Oberhalb der Tankstelle der nächste Dreh. Hier stehen ein paar Männer, unter ihnen auch Walter Natter, der Eigentümer der gleichnamigen Autofirma. Mit welcher Fassung er auf sein, vom Hochwasser verwüsteten Autohaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite blickt, ist bewundernswert. Obwohl ein Großteil der Fahrzeuge nicht versichert sind gegen solche Elementarereignisse. Unfassbar hat das Hochwasser in dem Autohaus gewütet und sämtliche Auto wie Spielzeuge durcheinandergeworfen. Auch die angrenzenden Wirtschaftsgebäude sind schwer beschädigt.

 

 

 

 

 

 



 

 

Man versucht sich einen Überblick zu verschaffen, doch da tritt schon wieder eine neue Situation ein: Ein Helikopter taucht am Himmel auf. Ein Filmteam des ORF hält das Szenario fest. Dann, keine Minute später kommt ein weiterer Hubschrauber ins Blickfeld: Die „Libelle“ des Innenministeriums. Am unteren Ende hängt ein Mann an einem Tau. Der Helikopter nähert sich dem Haus mit den eingeschlossenen Personen. Nach und nach holt der Flugretter die Menschen in Gruppen aus dem Haus. Wie eine Traube hängen sie am Ende des Seils und werden in Sicherheit gebracht. „Ab einem bestimmten Alter kann so was schon zur richtigen, nervlichen Belastung werden", meint Bertschler.

Das Hochwasser ist in der letzten Stunde deutlich zurückgegangen und das Begehen Richtung Dorf wird möglich. Auf der Höhe des Hotel Schiff hat sich die Ache einen alternativen Wasserlauf gesucht und ist durchgebrochen. Im weiten Bogen hat es eine große Wiese verwüstet, dann die Tankstelle und die anderen Gebäude getroffen. Weiter oben liegt ein total zertrümmerter, alter Abschleppwagen umhüllt von Bäumen, Sträuchern und Schlamm. Immer mehr Landesbeamte von Wasserwirtschaft und Wildbach tauchen auf um sich ein Bild vor Ort zu machen. Getrennt durch den neuen Wasserlauf sieht man eine Menge Schaulustiger auf der gegenüber liegenden Seite beim Hotel Schiff. Das Schlimmste scheint jetzt ausgestanden, auch der Regen hat endgültig aufgehört. Es wird viel Motivation für die Aufräumarbeiten brauchen. Ein Wehrmutstropfen bleibt für das Team. Es sind wahrscheinlich die einzigen 16:9 Bilder vom Hochwasser aber die bereits vor über einem Monat bestellte HD Kamera war noch nicht eingetroffen am Tag des Hochwassers. Thurnher beruhigt sich mit den Gedanken, die neue Kamera wäre sicher dem Hochwasser zum Opfer gefallen, vor lauter Nervosität um das teure Stück.

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Hanno Thurnher am Drehen in Au am 23. August 2005.jpg
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